FAQ
Fragen sind meiner Meinung das wichtigste Werkzeug zum Abbau von Klischees und Kontaktängsten. Am Ende einer Lesung ermuntere ich das Publikum darum stets, Fragen zu stellen. Heikle Fragen. Lustige Fragen. Peinliche Fragen. Und ich verspreche dabei, auf jede eine Antwort zu geben. Einige der häufigsten Fragen rund um das Buch und das Thema Behinderung sind untenstehend mit meinen Antworten aufgelistet. Dies für alle Interessierten, vor allem aber für jene, die bisher nie die Gelegenheit (oder die Kühnheit) hatten, sie zu stellen.
Ich möchte betonen, dass ich mit den Antworten nur für mich selbst spreche. Was für mich Realität ist, muss für andere Betroffene nicht unbedingt stimmen, und umgekehrt. Es gibt so viele Formen von Behinderungen, die sich untereinander massiv unterscheiden, dass man nicht verallgemeinern kann, was sie für den Einzelnen bedeuten. Und auch zwei Menschen mit der gleichen Einschränkung können grundverschiedene Leben führen.
Fragen zum ersten Roman „Was guckst du so behindert?“
Ist das Buch autobiografisch?
Ich habe tatsächlich viele der beschriebenen Szenen in ähnlicher Form erlebt. Das Leben plätschert jedoch selten in pfannenfertigen literarischen Mustern daher. Deshalb habe ich hier und dort etwas geschummelt und z.B. schlagfertige Antworten eingefügt, einen Spannungsbogen geschaffen oder eine Wendung dazugedichtet.
Manche Erlebnisse wurden mir auch von Freunden zugetragen und ich habe sie in verfremdeter Form einfliessen lassen, um einen Punkt zu illustrieren. Ein, zwei Szenen sind ausserdem frei erfunden.
Gibt es ein E-Book oder ein Hörbuch davon?
Es existiert ein E-Book, das über die Verlagswebseite bestellt werden kann (https://www.il-verlag.com). Das Hörbuch ist seit Dezember 2017 ebenfalls erhältlich und kann im Buchhandel bezogen oder bei mir via Kontaktformular für CHF 19.20 bestellt werden.
Wie lange hat es gedauert, das Buch zu schreiben?
Von den ersten spielerischen Schreibversuchen bis zum gedruckten Buch dauerte es fünf Jahre. Ich hatte mich vor diesem Buchprojekt nie mit kreativem Schreiben befasst und musste mir das Handwerk von Grunde auf aneignen. Entsprechend viel Zeit floss in den (schrecklichen) ersten Entwurf, und in den zweiten, und in den dritten…
Nach gut vier Jahren getraute ich mich, die vierte Fassung an einen Verlag zu schicken und hatte das Glück, auf einen engagierten Verleger zu stossen, dem das Thema und die Geschichte gefielen. Die Prozesse auf Verlagsseite – Lektorat, Covergestaltung, Buchsatz etc. – dauerten dann ebenfalls noch einige spannende Monate lang.
Hast du das Manuskript selbst geschrieben bzw. getippt oder brauchtest du Hilfe?
Von Hand schreiben kann ich seit einigen Jahren nicht mehr. Am Computer habe ich eine Dreifinger-Methode entwickelt, mit der ich relativ schnell und selbständig tippen kann. Das ist für mich körperlich anstrengend, aber das Gute beim Schreiben ist, dass man ohnehin immer wieder kleine Denkpausen einlegt, in der sich die Hände erholen können.
Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?
Ich hatte in der Zeit nach der Uni wenig Arbeit und spürte den wachsenden Drang, etwas Kreatives zu tun. Darum fing ich an, bestimmte Erlebnisse schreiberisch zu verarbeiten.
Irgendwann hatte ich so viele Szenen beisammen, dass sich wie von selbst die Frage aufdrängte, ob es möglich wäre, sie zu einer Geschichte zu verweben.
Was möchtest du mit dem Buch bewegen?
Ich will den Lesern einen Einblick in die Herausforderungen des Alltags von Betroffenen bieten, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.
Behinderungen wurden in Buch und Film bis vor Kurzem meistens auf eine von zwei Arten gezeigt: Entweder als schweres Schicksal, das ein normales und erfülltes Leben ausschliesst, oder es wurde verklärt auf heile Welt gemacht, was dem Thema auch nicht gerecht wurde. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die von einem positiven Grundton getragen wird, ohne die Schwierigkeiten des Lebens mit Behinderung herunterzuspielen.
Fragen zum Leben mit einer Behinderung
Wie funktioniert das Leben mit dem Assistenzbeitrag?
Die IV gewährt mir ein jährliches Budget, mit dem ich Leute für Pflege und Betreuung einstellen darf. Die Höhe des Budgets hängt davon ab, was ich im Alltag noch selbständig tun kann oder eben nicht.
Der Vorteil gegenüber dem Leben in einem Heim ist, dass ich selbst entscheide, wo ich wohne, von wem ich mich pflegen lassen will und um welche Zeit ich meine Assistenten einplane. Man kann sein Leben und seine Freizeit damit sehr frei gestalten, was in manchen Wohnheimen eher schwierig wäre.
Der Nachteil ist, dass ich viele administrative Pflichten erfüllen muss, denn rechtlich gesehen bin ich der Arbeitgeber meiner Pflegeassistenten und muss Lohnabrechnungen erstellen, Arbeitszeugnisse schreiben etc. Das ist eine zeitliche Belastung, die ich gegen die gewonnenen Freiheiten aufwiegen muss. Doch bisher gefällt mir dieses Lebensmodell sehr gut.
Wünschst du dir manchmal ein Leben ohne Behinderung?
Dieses Gedankenspiel habe ich seit der Kindheit nie mehr gepflegt. Irgendwann akzeptiert man die Situation, arrangiert sich damit und konzentriert sich auf das, was man kann.
Wenn ich mir ein behinderungsfreies Leben jetzt vorstellen müsste, wäre das vielleicht so, wie wenn man sich ausmalt, was man alles tun würde, wenn man viel Geld im Lotto gewänne: Ein belangloser Tagtraum, den man nach zwei Minuten wieder vergessen hat.
Was macht dir am meisten zu schaffen daran, dass du behindert bist?
Dass es den Menschen in meinem Umfeld Opfer abverlangt. Meine Eltern haben stets viel Zeit und Energie investiert, damit ich ein Leben nach meinen Vorstellungen führen konnte, und sie tun das heute noch. Auch meine Partnerin, meine Brüder und meine Freunde müssen immer wieder Zugeständnisse an meine Behinderung machen, für die ich ihnen oft keine direkte «Gegenleistung» erbringen kann.
Ich finde es schwierig, abzuwägen, ob die Behinderung in manchen persönlichen Beziehungen ein kleines Ungleichgewicht schafft, und wie ich es ausgleichen soll.
Hast du deine Behinderung als Kind anders wahrgenommen als heute?
Ich kann mich erinnern, dass ich die Behinderung lange Zeit nicht als etwas Negatives erlebt habe. Gedanken wie «hey, ich habe Räder, wie cool ist das denn!» wogen die Nachteile ein Stück weit auf und machten die Behinderung zu einem wertfreien Merkmal.
Erst zu Beginn der Pubertät wurde mir richtig bewusst, was es bedeutet, behindert zu sein. Dann ging die Wahrnehmung schlagartig in die negative Richtung. Es war danach ein langer Weg zurück zu einem Selbstbild, das nicht mehr von dieser Negativität geprägt war.
Passiert es dir oft, dass du in der Öffentlichkeit angestarrt wirst?
Ich glaube, viel seltener als früher. Allerdings bemerke ich das auch kaum mehr – man baut irgendwann eine Toleranz dagegen auf. Wenn mich Freunde in der Öffentlichkeit begleiten, kommt es vor, dass sie ganz entrüstet sind, weil jemand gegafft habe, und ich habe davon gar nichts mitgekriegt.
Wie ist das mit dem Sex? Klappt das, und wenn ja, wie?
In den Worten des Buchprotagonisten Marc: «Von den zahlreichen Stellungen, die im Kama Sutra beschrieben sind, kommt höchstens ein halbes Dutzend in Frage, bei denen ich mir nicht gleich alle Knochen breche». Glücklicherweise kommt man mit einem halben Dutzend schon recht weit. Es ist für alle Beteiligten eine körperliche Herausforderung, aber wo ein Ziel ist, ist immer auch ein Weg.
Schwieriger ist in der Regel die Partnersuche, da es mit einer Behinderung nicht leicht ist, als Mensch mit emotionalen und sexuellen Bedürfnissen bzw. gar als attraktiver Partner wahrgenommen zu werden.
Wie bewertest du die Rollstuhlfreundlichkeit unserer Gesellschaft heute und vor 20 Jahren?
Da hat sich viel bewegt. Ich kann mich daran erinnern, wie ich zu Anfang der Neunziger meistens im Gepäckwagen Zug fahren musste. Es war laut, unbeheizt und manchmal dunkel. Da betete man, dass man am Zielort nicht vergessen ging und auch wirklich ausgeladen wurde. Und Busse waren damals fast überall unzugänglich.
Heute sind im ÖV die meisten Angebote barrierefrei. Auch Trottoirs und Gebäudezugänge sind vielerorts besser geworden – heute kann man auswählen, in welchem Restaurant man essen will, früher ging man ins Einzige, das keine Treppe hatte.
Den grössten Unterschied machen aber Handys und das Internet aus. Damit erschliessen sich für mobilitätsbehinderte Menschen Möglichkeiten für Arbeit und Freizeit, die es vorher nicht gab.
Fragen zum Umgang als Fussgänger mit Rollstuhlfahrern
Wie bietet man am besten Hilfe an (falls überhaupt), wenn man einem Rollstuhlfahrer begegnet?
Viele von uns zeigen sehr deutlich, wenn wir Hilfe benötigen, oder sprechen von selbst jemanden an. Es gibt aber Betroffene, die da schüchterner sind, und es gibt Betroffene, die sich in ihrem Stolz verletzt fühlen, wenn man Hilfe anbietet.
Ich denke, im Zweifelsfall ist es sinnvoll, wenn man als Fussgänger versucht, Blickkontakt herzustellen, bevor man jemanden anspricht. An der Reaktion spürt man recht gut, ob ein Hilfsangebot willkommen ist.
Wie gibt man dir am besten die Hand? Oder wie kann man einen Rollstuhlfahrer begrüssen, ohne in ein Fettnäpfchen zu treten?
Ich kann die Hand weder heben noch entgegenstrecken. Wenn man mir also die Hand schütteln will, muss man nach ihr greifen. Das ist eigentlich die beste Methode, solange man nicht allzu stark zupackt. Ich nehme es allerdings niemandem übel, wenn er die Hand hinstreckt und sie dann beklemmt wieder zurückzieht, weil ich nicht entgegenkomme.
Eine Alternative ist eine leichte Berührung an der Schulter – dies ist jedoch manchen Betroffenen unangenehm und bietet sich höchstens dann an, wenn man einen vertrauten Umgang miteinander pflegt. Zur Not tut es auch ein Kopfnicken oder eine Begrüssung nur mit Worten.
Worüber spricht man mit jemandem, der im Rollstuhl ist?
Über das Wetter, Sport, oder über was auch immer man mit einer nichtbehinderten Person plaudern würde. Gleich als erstes jemanden auf die Behinderung anzusprechen, oder gar das Gefühl zu haben, man könne nur über dieses eine Thema reden, wäre unangebracht. Wenn man eine Weile locker geplaudert hat, kann man sich ja mal vorsichtig erkundigen, ob man dazu eine Frage stellen dürfte – oder vielleicht reisst der Gesprächspartner das Thema auch von selbst an.
Man sollte einfach nicht vergessen, dass die Behinderung nur eine Facette dieser Person ist und niemand auf einen einzigen Aspekt seiner Persönlichkeit reduziert werden möchte.
Sollte ich beim Gespräch in die Hocke gehen, um auf Augenhöhe zu sein? Wie positioniere ich mich am besten?
Das In-die-Hocke-gehen ist in meinem Bekanntenkreis umstritten. Manche Betroffene schätzen es als respektvolle Geste, andere empfinden es als gekünstelt. Ich tendiere zu Letzterem. Am angenehmsten ist ein Gespräch für alle Beteiligten, wenn man sich natürlich verhält. Ich denke, kaum ein Fussgänger würde sich auf die Zehenspitzen stellen, wenn er mit einem 2.05-Meter-Mann spricht – entsprechend wirkt es auf mich seltsam, wenn man vor mir in die Hocke geht.
Zur idealen Positionierung: Nicht alle Rollstuhlfahrer können den Kopf gut drehen. Wenn man sich also seitlich hinstellt, muss der Rollstuhlfahrer immer schräg hinüber schielen, was auf Dauer anstrengend ist. Frontal oder ganz leicht seitlich frontal sind deswegen besser.
Wie wichtig ist dir politisch korrekte Sprache, wenn man mit dir spricht?
Diese Art von Sprache ist in bestimmten Bereichen angebracht – in der Politik, bei öffentlichen Diskussionen, im Schriftverkehr mit Ämtern und Institutionen. Dort erfüllt sie eine wichtige Funktion.
Im persönlichen Gespräch hingegen lege ich keinen Wert darauf, ob mein Gegenüber z.B. «Mensch mit Behinderung» sagt oder «Behinderter». Der Inhalt des Gesagten ist für mich entscheidender als das Formelle.
Was hältst du von Wohltätigkeitsveranstaltungen bzw. Spendenorganisationen?
Ohne Spendengelder könnten die meisten Behindertenorganisationen und -verbände nur einen Bruchteil dessen erreichen, was sie bewirken wollen. Entsprechend wichtig ist Charity.
Allerdings störe ich mich daran, wenn bei der Spendengenerierung auf die Mitleidskarte gesetzt wird oder ein Bild von Behinderung propagiert wird, das die gängigen Klischees wie Schwäche und Passivität bedient.